Kennst du den Dunning-Krueger-Effekt? Er besagt, dass Inkompetenz und Selbstüberschätzung zusammenhängen: Wenn du keine Ahnung hast, was du tust, hast du auch keine Ahnung, was alles schiefgehen kann. Dadurch bist du viel selbstsicherer.
Kennst du das Hochstapler-Syndrom? Für mich ist es ein umgekehrter Dunning-Krueger-Effekt: Wer darunter leidet, der erkennt eigene Leistungen und Fähigkeiten nicht an und hält sich für Inkompetent. Du denkst, dass du eigentlich keine Ahnung hast, von dem, was du tust und du deine Ziele nur durch Glück oder Zufall erreicht hast. Auf deinem Weg hast du so viele Fehlschläge gemacht, dass du nicht mehr zu würdigen weißt, was du eigentlich alles gelernt hast. Dadurch bist du viel unsicherer.
Mir geht es heute um letzteres. Wir beschreiben Freifunk als ein »freies, von Bürgern verwaltetes Funknetz« und das »frei« ist dabei essenziell: Das Netz ist frei, kostenlos in der Nutzung, frei von Zensur und Überwachung. Die eingesetzte Software ist frei, jeder kann sie einfach herunterladen. Man muss nicht dafür zahlen. Es geht sogar noch einen Schritt weiter: Man kann sogar unter die Motorhaube schauen und kucken, wie sie funktioniert! Aber Freifunk ist nicht eine Software, die man auf einen Router installiert und den irgendwo hinstellt, es ist eine Idee. Die Software ist nicht vom Himmel gefallen, sie wurde geschrieben. Damit das möglich war, hat jemand mal OpenWRT entwickelt, eine Art Linux-Betriebssystem für Router. Auch das ist nicht vom Himmel gefallen, damit OpenWRT möglich wurde, hat jemand mal Linux geschrieben. Und auch das ist nicht vom Himmel gefallen, immerhin heißt es korrekt GNU/Linux und die Ursprünge von GNU reichen zurück bis ins Jahr 1983.
Es ist unmöglich zu sagen, wieviele Stunden Arbeit in unseren Firmwares, Gluon, OpenWRT, Linux und GNU wirklich stecken. Alleine im Linux-Kernel, dem Betriebssystemkern, steckten vor 3 Jahren wohl schon 73.000 Personenjahre an Arbeit, damals hatte er ~15 Millionen Zeilen Quellcode, heute sind es schon 20 Millionen Zeilen Quellcode.
Noch unmöglicher ist es zu sagen, wieviele korrigierte Zeilen Code es für jede “fertige” Zeile gibt. Wie oft wurden Fehler behoben? Wieviele Fehler wurden noch gar nicht entdeckt? Fehler sind normal und es geht primär nicht darum sie zu vermeiden, sondern darum, einen korrekten Umgang mit ihnen zu finden. Das gilt sowohl für die Technik als auch für alles darum herum.
Für Freifunk heißt das: Wir müssen in unserer Community eine Kultur pflegen, in der wir keine Angst vor Fehlern haben und Menschen ermutigen Fehler zu machen. Nur aus gemachten Fehlern kann man lernen, nicht aus nicht-gemachten Fehlern. Dafür ist es unerlässlich, dass man sich auch traut Fehler zu machen. Die Technik erlaubt es uns mit Fallnetzen zu arbeiten: Dank Versionierung, kollaborativen Tools und asynchronen Kommunikationswegen gibt es kein »falsch«, weil man praktisch nichts kaputtmachen kann. Nichts ist unwiederbringlich verloren, wenn man den falschen Knopf drückt, kein Kernkraftwerk fliegt deshalb in die Luft, keine Menschen müssen deshalb sterben.
Ich möchte euch alle ermutern: Macht Fehler! Hier und überall sonst. Wir sind auf eure Fehler angewiesen, nur wenn ein Fehler gemacht wurde kann man ihn erkennen und korrigieren. Wir als Community müssen dafür sorgen, dass Menschen sich bei uns wohlfühlen, gerne Fehler machen und sich freuen, wenn sie die Fehler von jemand anderem beheben können oder ihre Fehler behoben werden. Code ist nie fertig, er ist immer voller Fehler. Anleitungen und Texte auch. Bilder, Grafiken, Videos auch. Nichts ist jemals fertig, sondern nur eine Momentaufnahme von den Fehlern, die aktuell am besten funktionieren. Dein vor zehn Jahren geschriebener Code, auf den du so stolz warst, weil er fehlerfrei und schön war? Aus heutiger Sicht ist er ein einziger, riesiger Fehler, den man dringend mal neu schreiben müsste. Aber: Er ist da. Du hast ihn mal geschrieben, er hat mal funktioniert. Auch wenn er das heute vielleicht nicht mehr tut: Er ist da, du hast etwas erschaffen. Und vielleicht hat jemand etwas daraus gelernt oder dieser Code hat jemandem Arbeit abgenommen. Gleiches gilt für einen Text, ein Bild, ein Gespräch, eine Idee. Man muss sie machen, produzieren, rauslassen, damit sie funktioniert und fruchtet und Dinge in Gang setzt, die größer, besser sind als sie selbst.
Aktuell haben wir eine handvoll aktive Leute und ich bin um jeden dieser Leute, ihrer Handgriffe und gemachte Fehler froh. Letzte Woche hatten wir 22 Leute auf unserem Treffen und es hat mich umgehauen und froh gemacht, dass sich so viele Leute die Mühe gemacht und die Zeit genommen haben vorbeizukommen. Unsere Community hat über 500 registrierte Freifunk-Router, von denen über 300 online sind und dauerhaft mehrere hundert Personen mit freiem Netz versorgen. Unser Ziel ist es freies Netz zu jedem zu bringen, und als erstes zu denen, die es am dringendsten brauchen.
Um dieses Ziel zu erreichen möchte ich jede und jeden von euch Einladen und bitten mit uns zusammen Fehler zu machen! Es gibt sehr viel zu tun und es ist einfacher für alle, wenn wir die Arbeit auf mehr Schultern verteilen. Wenn du denkst, du kannst nichts beitragen: Unsinn, du Hochstapler! Wir brauchen Leute, die Texte schreiben. Flyer verteilen. Ideen haben. Leute ansprechen. Router verteilen. Freifunk erklärn. Kontakte herstellen. Sich einen eigenen Router flashen, dabei viele Fehler machen weil sie noch nie sowas getan haben, ihn aufstellen und dann die beste Anleitung schreiben, wie man einen Router flashed. Weil sie genau wissen, wie man es Leuten erklärt, die keine Ahnung haben. Weil sie eben selbst so jemand waren.
Wenn du gerne helfen würdest, aber immer noch nicht weißt wie: meld dich! Wir brauchen dich!